Sorry, dass Klischee musste ich mir jetzt unbedingt geben – zumal ich morgen auch hautnah mit der Geschichte des Vietnamkrieges in Kontakt kommen werde. Denn morgen werde ich eine Touri-Tour nach Cu Chi mitmachen. Dort gibt es die beruehmten unterirdischen Gaenge der Vietcong. Es ist schon beim Lesen unbegreiflich, dass die Menschen heimlich auf mehreren Ebenen ein wahres Labyrinth an Gaengen, Aufenthaltsraeume, Lazarette und mehr gebaut haben – insgesamt 250 km Tunnel auf einem Gebiet von 400 qkm! Und das alles so winzig (zum Teil nur 80×80 cm), dass der zu besichtigende Teil fuer die dicken Touris extra vergroessert werden musste. Dort unten haben die Menschen in absoluter Finsterniss gelebt, sogar Kinder geboren, in Gesellschaft von Skorpionen, Schlangen, Ratten und mehr fiesem Zeuch. Ihr versteht, dass ich gespannt auf diese Tunnel bin…
Vorher geht es aber erst zu dem Hauptsitz der Cao-Dai-Religion. Diese Glaubensrichtung wurde erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts erschaffen und hat sich von allen Religionen ein bisschen etwas ausgesucht. Und lustigerweise haben sie die Reihen der Heiligen maechtig aufgestockt. Laut Caodaismus gehoeren zum Beispiel auch Victor Hugo, Napoleon, Winston Churchill und William Shakespeare zu den Heiligen – finde ich sehr lustig. Auch auf diesen Besuch bin ich daher sehr gespannt. Und wenn das hier so weiter geht, koennen die mir auch bald ein Plaetzchen freihalten. Ich bin sowieso der Meinung, dass mir in meinem Leben bisher viel zu wenig gehuldigt wurde…
Aber jetzt erst einmal wieder zurueck zu vergangenen Erlebnissen. In Can Tho hat mich also mein kleiner Captain auf eine kleinen Boot mit Rasenmaeher-Motor erst zu den Schwimmenden Maerkten und dann durch die Seitenarme des Mekongs geschippert.
Von dem ersten der zwei Maerkte war ich ja noch ein wenig enttaeuscht, kleine Boote die an grosse Boote Lebensmittel und mehr verkauften (sogar ein Tankstellen-Boot war dabei!), der zweite dagegen war zwar kleiner, aber dafuer um so schoener. Eine Flut von kleinen Booten, die sich zu einem einzigen Knaeuel ver- aber auch wieder entknoten, die fast ueberladen sind mit Bergen von Zwiebeln, Gingseng, Ananas, und anderen Leckereien. Garkuechen und Getraenke-Anbieter schwimmen umher und versorgen Haendler und Kaeufer mit Kaffee und Nudelsuppen und dazwischen immer wieder Touristen, die vor lauter Knipsen und Gucken fast aus dem Boot fallen. (Nein! Ich war zu keiner Zeit in Gefahr! Und ich habe in meiner Nusschale sogar todesmutig gestanden!). Die bedaechtige Fahrt durch die Fluesschen wurde nur durch zwei Stopps an Fruechte-Farmen unterbrochen. Wenn das Tuckern des Motors nicht die ganze Zeit gewesen waere, waere es noch viel idyllischer gewesen. Wobei ich aber auch nicht verschweigen kann, dass das Leben am Fluss, das ich beobachten konnte, zum Teil ein bitterarmes ist. Die Menschen hier wohnen nicht nur am, sie wohnen im und mit dem Fluss. Sie waschen sich, ihre Waesche und ihr Geschirr im Mekong – ein schlammig-braune Bruehe voller Abfaelle (die Plastiktueten haben sich alle Nase lang um die kleine Schraube unseres Bootes gewickelt – da kam sogar mein „Allzeit-bereit-Taschenmesser endlich mal zum Einsatz), ich meine sogar einmal einen Kadaver in den Wurzeln der Mangroven gesehen zu haben. Und sie leben vom Fluss, sei es nun durch Fischfang, Touri-Fang oder was ihnen der Fluss sonst noch gibt: Als wir nach Can Tho zurueckkehrten hatten wir Niedrigwasser (ich wusste gar nicht, dass es dort so etwas gibt) und in den Bergen von Abfaellen, die sich an den Kaimauern tuermten, suchten Menschen nach noch Verwendbaren.
Vietnam ist, auch wenn der Tourismus in den letzten Jahren eine wahre Geldflut gebracht hat, immer noch ein sehr armes Land, dass kann alle Folklore nicht verstecken.
Vom Boot wurde ich gleich in den (Mini-)Bus verfrachtet – natuerlich wieder als einzige Auslaenderin. Und auch in Vietnam passierte das, was ich schon aus Thailand kannte: Auch hier stuermen bei jedem Halt die Essensverkaeufer heran und ich war hin und her gerissen, ob ich nun sollte oder wollte. Meine Sitznachbarin schien Mitleid mit mir zu haben und schenkte mir – total suess – die Haelfte ihres gerade erstandenen frisch gekochten Maiskolbens. Ein Volk, dass sein Essen mit Fremden teilt, muss man doch moegen!
Zur Haelfte der rund vierstuendigen Fahrt wurde an einer Raststaette (natuerlich ueberhaupt nicht mit europaeischen zu vergleichen!) Halt gemacht, waehrend ich schon wieder an meinem Platz sass kam eine andere Mitreisende auf mich zu und drueckte mir einfach total stolz ihr 6 Monate altes Baby in den Arm (und wieder ein Einsatz fuer Her Highness Silke). Der Zwerg war mir schon vorher aufgefallen, da Mutti ihn in ein fesches Nikolaus-Ensemble gesteckt hatte. Die Vietnamesen scheinen wirklich voll auf Weihnachten abzufahren, gerade im Sueden gibt es auch einen sehr hohen Anteil an Katholiken, Kirchen sieht man alle Nase lang.
Ich zeigte mich jedenfalls ordentlich beeindruckt von dem Kurzen (oder der Kurzen? Keine Ahnung…). Die Mutter sprach sogar etwas Englisch, so dass wir uns ein wenig unterhalten konnten. Ich schocke ja immer wieder alle damit, dass ich 38, unverheiratet und kinderlos bin und noch nicht einmal einen Boyfriend habe. Allenthalben schlagen mir hier Wellen des Mitleids entgegen. Eigentlich hatte ich mir ja ueberlebt, eine traurige Geschichte von einem verstorbenen Ehemann zu erfinden, da ich ja weiss, dass es in Asien sehr ungewoehnlich ist, in meinem Alter noch nicht unter der Haube zu sein, aber wenn immer alle so nett zu mir sind, mag ich halt nicht luegen.
Und so bekam ich auch von Fuk, meinem Cyclofahrer zu hoeren, ich sei ja schon „very old“. Aber trotzdem hat er heute schoen auf mich aufgepasst und mich kreuz und quer durch Saigon geradelt – ganz ohne Touri-Nepp. Ich kam mir ja schon ziemlich dekadent vor, aber auch die Vietnamesen selbst nutzen diesen Dienst sehr haeufig und die zahlen sicher viel weniger dafuer als wir Touristen. Ich habe jede Menge Pagoden in Cholon, dem Chinatown Saigons, gesehen und habe brav Raeucherstaebchen angezuendet. Erst hinterher habe ich gelesen, dass gleich der erste Tempel gern von Frauen aufgesucht wird, die dort um Fruchtbarkeit bitten… Offenbar wollte der guteFuk mich doch noch auf den rechten Weg bringen… 🙂
Ausserdem bin durch die dortige Markthalle gewuselt. Gestern war ich schon kurz in einer solchen Halle hier in der Naehe und bin sofort wieder herausgerannt, weil jeder meiner Schritte von staendigem „Wanna buy, Madame? Very cheap, Madame! You can try, Madame!“ begleitet wurde und die eifrigen Verkaeuferinnen sogar anfingen, an mir zu zerren. Der Bin Thay-Markt in Cholon war da entspannter, und ich habe sogar drei schoene Seidenschals, bestimmt 20 cm breit und 150 cm lang (grob geschaetzt) erstanden – fuer zusammen 90.000 Dong – also rund 5 Euro….
Danach musste ich allerdings auch von dort fluechten, denn die geschaeftstuechtigen Nachbarstaende wollten sich eine kaufwillige Touristin natuerlich auch nicht entgehen lassen und setzten ernsthaft dazu an, auf mich zu springen, um mich am gehen zu hindern. 😉
Aber mit Sicherheit wird das nicht mein letzter Einkauf gewesen sein – vielleicht lasse ich mir sogar etwas schneidern, denn ich habe die Hoffnung ja langsam aufgegeben, jemals wieder in eine Hose von der Stange zu passen…
Sehr schoen sind auch die Ao Dais, die hier noch viele Frauen auch alltags und eigentlich fast alle zu feierlichen Anlaessen tragen. Dabei handelt es sich um eine lose fallende Hose, ueber der ein langes,
an beiden Seiten bis zur Taille geschlitztes Gewand getragen wird. Das gibt es in unzaehligen Varianten, mit und ohne Aermel, hochgeschlossen, ausgeschnitten, mit und ohne Muster, der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Ich habe sogar gestern Abend spasseshalber hier in einem Geschaeft so einen Ao Dai angehabt, aber gegen die zierlichen Vietnamesinnen sehe ich darin natuerlich aus wie ein Pferd. Aber abgesehen davon war es sehr schoen und wirkte auch nicht albern (so wie der Reishut, den ich natuerlich neulich auch einmal aufprobiert habe).
Uebermorgen werde ich mich dann nochmal ins Stadtleben stuerzen und mit dem Besuch des Kriegsmuseums das Thema Vietnam-Krieg abrunden. Per Cyclo bin ich heute schon am US-Konsulat vorbeigefahren. Beim Blick auf die Stacheldraht-bewehrte Mauer musste ich an die vielen Berichte und Filme denken, die sich mit der Evakuierung am 29.4.1975 beschaeftigt haben – in Anbetracht der vielen Menschen, die hier Zuflucht gesucht und zurueckgelassen wurden, kann man schon einmal Beklemmungen bekommen…
Danach werde ich wohl das hektische Saigon hinter mir lassen und mich, dem breitgetrampelten Pfad folgend, in das suedliche Hochland nach Da Lat aufmachen. Hier gibt es ganz viel Natur – und mit Sicherheit auch wieder ganz viel Motorbikes….
So, und jetzt trinke ich noch ein Saigon-Bier!
hello my old but holy silkin! so langsam schreibst du dich warm, was? oder lag es am saigon bier? kann mir zwar immer noch nicht so recht vorstellen, dass du das alles in farbe und echt erlebst… finde es aber unglaublich spannend!!!
hoffe du bist wieder heil aus den engen tunneln heraus gekommen!
werde mich jetzt voller elan an die fz setzen und grüße dich ganz herzlich!
Ein Baby als Weihnachtsgeschenk?? bohh, geil!
Hi Silke,
wenn du das alles gut überstehst, mit Pass und ohne Baby nach Hause kommst, hast du dir einen königlichen Empfang verdient 🙂
Shirley