Ein weiterer Fund aus den Untiefen meiner alten Festplatte. Die Geschichte habe ich 2009 gemeinsam mit meinem lieben Kollegen Günther geschrieben. Vorsicht – sie ist nichts für zarte Gemüter!
Der Häcksler
Er konnte es nicht mehr hören. Jeden Tag warf dieser dämliche Gartenzwerg-Terrorist nebenan seinen lärmenden Häcksler an und quälte ihn stundenlang mit der unerträglichen Geräuschkulisse. Und wenn er das nicht machte, stand sein Nachbar am Gartenzaun und müllte ihn mit seinen Ernteerfolgen zu. Die Größe seiner Kohlrabi übertraf natürlich die seiner Mitgärtner um ein Vielfaches. Er hätte es ahnen müssen, als er den Garten kaufte – immerhin hatten die Vorbesitzer ihr grünes Paradies bereits seit zwei Jahren nicht mehr betreten. Aber er würde nicht weichen. Er nicht. Seit Jahren hatte er auf ein Grundstück in dieser Kleingartenanlage gespart. All sein Geld steckte hier drin. Die Lage war perfekt. Alles war perfekt – nur sein Nachbar passte nicht ins Bild. Besonders schlimm war es zur Karnevalszeit. Dann fiel dieser Idiot mit allen seinen Kumpanen aus dem Karnevalsverein in seinen Garten ein und machten das, was alle Karnevalisten tun: Saufen und unsägliche Musik hören. Er hatte schon mehrere Eingaben beim Kleingartenvorstand gemacht – vergeblich. Sein Nachbar gehörte zu den Mitgründern des Vereins und war daher unkündbar. Außerdem gehörte der Vorstand auch zum Karnevalsverein – er hatte keine Chance.
Als er dann letzte Woche lang und breit das Programm der nächsten Karnevalsfeier erläuterte – die natürlich im Garten stattfinden sollte – hatte er die Faxen dicke. Es musste etwas geschehen. Er zog sich in seine Laube zurück, öffnete ein Bier und fing an, Pläne zu schmieden. Zwei Stunden und fünf Bier später wußte er, was er zu tun hatte.
Er begann, seinen Nachbarn zu beobachten, sein Verhalten zu studieren. Das hatte ungefähr den Unterhaltungswert von Pantoffeltierchen-Sex, aber es war nötig, um herauszufinden, wann er sich allein im Garten befand. Es war fast zu einfach, so spießig-regelmäßig war sein Rhythmus. Montagsmorgens war die Anlage eigentlich immer leer – nur sein Nachbar kletterte in seinen Bäumen herum und schnibbelte Äste ab. Sein Häcksler brauchte schließlich Futter.
Dann besorgte er sich aus einem weit entfernten Baumarkt (sicher ist sicher) einen Maleroverall. Schließlich wollte er sich nicht einsauen. Das Schwerste war, wieder ein besseres Verhältnis zu diesem Schandfleck der Natur aufzubauen. Doch es war wichtig und so biss er die Zähne zusammen, lächelte und machte Schönwetter.
Eines sonnigen Montagmorgens war es dann soweit. Sein Nachbar erwartete ihn bereits freudestrahlend am Gartenzaun. „Wollnse ma rüberkommen? Ich hab nen neuen Häcksler! Den Turbo 2000 – besser als Stalingrad, sach ich Ihnen!“ Natürlich ging er rüber. Das Schicksal war auf seiner Seite. Er bemühte sich, nicht zu sehr zu strahlen. Beschwingt betrat er den Garten. Er war nur noch einen Schubs von seinem Glück, von seiner Ruhe, entfernt. Und es wurde ihm auf dem Silbertablett serviert. Jetzt konnte er die Schlaftabletten einfach entsorgen. „Hier, sehn se ma!“ Der Nachbar stürzte vor Eifer schon fast selbst in den Trichter, als er das Lärmmonster anwarf. Seine Hände zitterten kein bisschen, als sie sich dem breiten Rücken seines Feindes näherten. Nur ein schneller Schubs. Der Schutzanzug! Er ließ seine Hände fallen. Wie sollte er das erklären, wenn er von Kopf bis Fuß von Blut besudelt da stehen würde. „Wissen Sie, da geb ich Ihnen jetzt mal ein Bier drauf aus. Wird ja auch langsam mal Zeit, nicht wahr?“ Jetzt fanden die Tabletten doch noch ihre Bestimmung. 20 Minuten und 2 mit zerstoßenen Schlaftabletten versehenen Bier später konnte er endlich zur Tat schreiten. Er hechtete elegant über den Gartenzaun, zog sich den Overall an, sprang zurück und zog seinen nervigen, jetzt betäubten Nachbar zum Turbo 2000. Dank der Vorführung, wusste er wenigstens auch, wie das Ding funktionierte. Dieses eine Mal klang das Heulen des Häcksler-Motors wie Musik in seinen Ohren. Er hiefte den Oberkörper an die Öffnung und schob den Kopf genüsslich in Richtung der rotierenden Messer. Als erstes verfingen sich die schütteren Haare in dem Mahlwerk. Mit einem Geräusch, als wenn Klettverschlüsse geöffnet werden, löste sich die Kopfhaut vom Schädel. Vorsichtig drückt er ein wenig nach, damit sein neues Lieblingsspielzeug weiter seine Arbeit nachgehen konnte. Die Arme. Immerhin sollte es ja nach einem Unfall aussehen. Mit den Fingern hatten dir großen Messer wenig Mühe. Sie verteilten sich in kleinen Stücken in den Begonien. Die Schädeldecke war da schon ein ganz anderes Kaliber. Doch mit einem kurzen Knacken war auch dieses Thema bald erledigt und erstaunlicherweise war es sogar ziemlich viel Gehirnmasse, die da aus dem Auswurfrohr sprudelte. Er hätte ja gern noch weiter gemacht – aber seine Arbeit war erledigt. Und sein Nachbar auch. Er pellte sich aus dem blutigen Overall und stopfte ihn vorsichtig in eine Mülltüte. Dann verwischte er sorgfältig die Spuren seines Besuchs, wusch die leeren Bierflaschen aus und stellte sie zurück in den Kasten. Er duschte sich die letzten Blutspritzer vom Körper, zog sich an und verlies ungesehen mit der Mülltüte in der Hand die Kleingartenanlage. Hinter sich hörte er den Motor des Häckslers leise tuckern. Ein gutes Gerät. Vielleicht sollte er sich auch so etwas anschaffen.
(Copyright by Silke Rockt und Günther Hucks)